Shit happens im Hippiecamp

Frauenfuß mit Kinderkacke

Bielefeld. Man könnte denken, damit sei bereits alles gesagt. Doch meiner persönlichen Biografie hat dieser Ort, der sich in einem dunklen Wald am Rande der ostwestfälischen A2 verbirgt, vor einigen Tagen eine Duftnote hinzugefügt. Da Sommer ist, weilten Freunde in einem dortigen Sommercamp. So machten der Panda und ich einen Ausflug, um sie zu besuchen. Dies sollte sich als echt besch*ssene Idee herausstellen.

Nach Verlassen der Autobahn passierten wir irgendwann die Waldgrenze, rumpelten zunächst über knirschenden Schotter und rollten dann auf weichem Waldboden immer tiefer hinein in eine andere Welt. Die hohen Bäume, dicht an dicht, verdunkelten unsere Sicht bis wir plötzlich vor einer Lichtung standen, aus der ein verwunschenes Fachwerkhaus wuchs. So also sieht es bei Rotkäppchen und dem bösen Wolf Zuhause aus.

Wald in Bielefeld
Bielefeld

Ich parkte den Panda und ging zögerlich auf das große Haus zu. Hinter einer riesigen, halb geöffneten grünen Holztür regte sich Leben. Menschen. Gottseidank. Sie schickten mich ums Haus herum, wo ich meiner Freundin in die Arme lief, die mir das weitläufige Gelände hinter dem Haus und die ersten Sommercamper vorstellte. Küchenzelt, zahllose Bänke, Tische und Stühle, Wiese mit Lagerfeuer und ein terrassenartiger großer, überdachter, mit vielen dicken, bunten Teppichen ausgelegter Gemeinschaftsraum. Zelte, Campingbusse und Wohnwagen für etwa fünfzig Leute umsäumten all das. Überall kleine Menschengruppen, die mit irgendwas oder mit Nichtstun beschäftigt waren.

Der nächste Weg führte mich zur Toilette, die sich in dem alten Bauernhaus hinter der Küche befindet. Dass es hier trotz der vielen Menschen sehr entspannt zugeht, ließ sich bereits an der kiefernen Toilettentür bemerken. Kein Schlüssel, kein Schild. Auf heißt frei, zu heißt besetzt. Direkt neben der Toilette befand sich ein hübsches hölzernes Fenster, ein großes Fenster mit einem kleinen aufgeklebten Sichtschutz im unteren Drittel, der ungefähr bis zur Höhe der Klobrille reichte. Durch die oberen zwei Drittel konnte ich einem jungen Mann mit Dutt, Dreißigtagebart, bloßem Oberkörper und um die Hüfte geschlungenem Pareo zuschauen, der vor dem Fenster auf einer Leiter stand und Pflaumen pflückte. Er winkte mir freundlich zu. Mein erster Impuls war, unverrichteter Dinge aufzuspringen und den Rest des Tages die Luft anzuhalten. Aber wenn ich schon mal hier war, konnte ich auch so tun als sei ich ähnlich entspannt wie die derzeit hier Hausenden. Ging, dauerte nur länger. Fake it till you make it. Oder so.

Das Camp stellte sich als eine Art hippieesker Spielplatz heraus. Ein bisschen umsonst & draußen, ein bisschen Kelly Family, wallende Gewänder über ungehaltenen Büsten, viel Haar, wenig Konvention. Ähnlich viele Männer wie Frauen, die meisten zwischen vierzig und sechzig, einige Fünfundzwanzigjährige, eine Zweijährige. Beim veganen Mittagessen bahnte sich das Gespräch seinen Weg Richtung Tiere und Fleisch. Ich berichtete von meinen Insektenburgern, denen man gar nicht ansieht, geschweige denn schmeckt, dass es sich um Maden handelt. Vier Augenpaare schauten mich an. Ich interpretierte das als Interesse und erzählte, dass man inzwischen auch Heuschrecken mit Augen im Internet bestellen könne und dass ich wahnsinnig gern mal Grillen grillen … Ein älterer Mann, der mir schräg gegenübersaß, fiel mir unsanft ins Wort und machte mich auf die Empfindsamkeit der anwesenden Damen aufmerksam. Notiz an mich selbst: Nochmal im Buch „Wie man Freunde gewinnt“ die Don‘ts nachlesen.

Nach dem Essen wollte ich mir das Gelände noch genauer anschauen. Da mein letzter Campingurlaub Jahrzehnte her ist, hatte ich an vieles gedacht, was man in der Wildnis so brauchen könnte, nur nicht an Schlappen. Sowohl im Haus als auch im offenen Gemeinschaftsraum herrschte Schuhverbot, so dass ich barfuß unterwegs war. Nach fünf Metern auf einem schmalen Pfad schmatzte es unter mir und der linke Fuß rutschte auf etwas aus. Ich hatte den offensichtlich sehr frischen Haufen so gut getroffen, dass er durch die Zehen hindurchquoll und sich mitten auf dem großen Zeh wieder zu einem curryfarbenen, ins Orange neigenden Häuflein auftürmte. Shit happens.

Die ungewöhnliche Farbe warf Fragen auf. Während ich noch überlegte, ob ich lachen oder fluchen sollte, wurde ich von mehreren Campern umringt. Der Mann, der mir kurz zuvor die Campetikette nahegebracht hatte, sagte mit der größten Selbstverständlichkeit: „Ach, da hatte gerade die Lilly hingemacht.“ Lilly war der Name der zuckersüßen weißblonden Zweijährigen, die augenscheinlich Möhren gegessen hatte und meistens mit Windel herumlief. Außer gerade eben. Jemand sagte, in Scheiße zu treten bringe Glück. Wenn das stimmt, bringt Kinderkacke bestimmt doppelt so viel Glück, da sie wohl vergleichsweise selten mitten auf einem Weg auf trittsichere Barfüße wartet.

Der Versuch, das Lillyhäufchen loszuwerden, gestaltete sich nicht ganz einfach. Das Gröbste im Gras abstreifen, ab unter die provisorische Campdusche. Da der Duschkopf fest installiert war, duschte ich mein T-Shirt, während die Kackreste hartnäckig kleben blieben. Also gut, Gras reicht auch. Das Fußfoto ist nach der zweiten Grasreinigung und vor den Babyfeuchttüchern entstanden. Ich bin immer noch nicht so socialmediaaffin, dass mir direkt beim Tritt in die Scheiße einfällt, dass ich unbedingt ein Foto davon machen sollte.

Das letzte Mal war ich 2006 in Bielefeld. Unfreiwillig. Wegen eines Interviews mit dem kürzlich verstorbenen Wiglaf Droste, das eigentlich einen Tag vorher in Dortmund hätte stattfinden sollen, aber aufgrund mehrstündigen drosteseitigen Verschlafens nach durchzechter Nacht mit seinem Kumpel Fritz Eckenga nach Bielefeld verlegt wurde. Fritz Eckenga war damals eine Art Kolumnist für mein Magazin und hatte den Kontakt zu Wiglaf Droste hergestellt. Das Stadtblatt war von 2005 bis 2008 ein Regionalmagazin fürs Ruhrgebiet, das mich um sämtliche Ersparnisse gebracht und mir viele einzigartige Erfahrungen und Begegnungen geschenkt hat. Eine davon in Bielefeld. Erste Interviewfrage: „Er war grimmig, flauschig, schnell, er hat die Wahrheit gesprochen und er hat schön gesungen – So wünschst Du Dir Deinen Nachruf. Fehlt da nicht der Humor?“ Antwort: „Der ist ja in der Wahrheit schon drin. Humor ist eine Haltung zur Welt.“ Recht hatte er. Der zweite Ausflug nach Bielefeld wird wohl ebenso zu einer bleibenden Erinnerung gerinnen. Auch ohne bösen Wolf.

 
 

2 Meinungen zu “Shit happens im Hippiecamp

  1. Holger sagt:

    Das war bestimmt ’ne „geile“ Farbkombination mit dem Bordeauxrot (?) deiner Zehennägel! Lustige Geschichte, natürlich vor allem auch eine Art nachdenklich stimmendes Mini-Soziogramm dieser speziellen Aussteiger-Community und für mich wieder mal ein Anstoß zur Frage: Wie geht mehr Verbundenheit mit der (bzw. unserer eigenen) Natur? Wie gehen Suffizienz und Konsistenz – als zwei der drei bekannten Nachhaltigkeitsstrategien (neben der Effizienz, die hier nicht so ins Auge fiel)?

    • Barbara Underberg sagt:

      Im Kern geht es glaub ich um Bedürfnisse. Wer tatsächlich im Einklang mit sich selbst ist und sich überwiegend im oberen Drittel der Maslowschen Bedürfnispyramide aufhält, ist nicht empfänglich für Betäubung, egal wodurch. Konsumkoma funktioniert nur mit Bedürftigen. Deshalb ist m.E. die Debatte um Nachhaltigkeit und Verzicht auch so irrational. Die Menschen haben Angst, dass ihnen was weggenommen werden könnte, von dem sie denken, dass sie es „brauchen“. Andersherum wird ein Schuh draus. Ist jedenfalls meine persönliche Erfahrung.

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