Mein Hirn & ich testen Insekten

Gebratener Insektenburger

DER WEITE WEG ZUR VEGETARISCHEN WURST

Zum Pfälzer Saumagen kam es nie. Wohl vor allem deshalb, weil die Pfalz sich außerhalb meines Dorstener Aktionsradius´ befand. Was es allerdings gab: Panhas. Eine Kochwurst, die aus Schweineblut, Knochenbrühe, Innereien und Mehl zusammengerührt wird. Obwohl man mir als Kind die zweifelhafte Zutatenliste vorenthielt, mochte ich diese rotbraungebratenen krümeligen Scheiben nicht besonders. Wer jedoch an Panhas gewöhnt wurde, hatte kaum eine Chance, toten Tieren auf Tellern zu entkommen. Und so liebe ich Fleisch und Wurst bis heute. Mein Herz ist Vegetarierin, aber gegen die Fleischeslust meines Hirns kommt es einfach nicht an. Für ein gutes Steak bin ich bereit zu töten, nicht nur das Rind. Ich mag Sucuk-Pizza und Fleischsalat und esse zum Frühstück Matjes mit rohen Zwiebeln. Inzwischen haben Hirn und Herz einen Deal, an den wir uns meist halten: Zuhause gibt es Gemüse oder Gemüse mit Hähnchen, auswärts ist alles erlaubt.

In der letzten Zeit nimmt die Zahl der Vegetarier*innen und Veganer*innen in meinem Umfeld stetig zu. Vor knapp zwanzig Jahren schaffte ich den Absprung von der Nikotinsucht, bevor Rauchende bei Wind und Wetter vor die Türen verbannt wurden. Zurzeit befinde ich mich in einer ähnlich disruptiven Phase. Ich glaube Fleisch zu brauchen, aber die Vorboten des gesellschaftlichen Abseits´ lauern bereits im Vorgarten. Diesmal bin ich etwas später dran, da ich keine klugscheißernden Kinder habe, die mir die Freude am Fleisch verderben, indem sie Massentierhaltung, Umweltzerstörung und Klimawandel beklagen. Was habe ich damit zu tun, wenn die Kuh zu viel pupst?

Dass diese Gretas, Rezos und manche Medien mir meine Mahlzeiten immer mehr madig machen, hat dennoch Spuren hinterlassen. Vegetarische Wurst und Würstchen haben inzwischen in meinen Haushalt Einzug gehalten. Mein Hirn merkt keinen großen Unterschied und beginnt eine Bereitschaft zu entwickeln, alte Gewissheiten durch neue Gewohnheiten zu ersetzen. Es ist nämlich so eitel, sich für ebenso abenteuerlustig wie fortschrittlich zu halten und um den Beweis anzutreten, Unbekanntes zu probieren.

So wäre ich immer die Erste, die Grillen grillen oder Tausendjährige Eier tranchieren würde. Erst kurz vor der Vorstellung des Verzehrs krabbelnder Kakerlaken endet meine Phantasie. Zu einer Dschungelcampparty haben sich leider bis heute nie Gäste bereitgefunden. Transsilvanische Widderhoden und chinesische Hühnerfüße konnte ich inzwischen in Restaurants testen und von der Bucket List streichen. Die Hoden schmeckten wie Sojageschnetzeltes und die Füße erinnerten an „Hänsel und Gretel“. Es war nichts Essbares dran.

Nun ist so ein Widder wiederum ein Tier, das mich in die Bredouille bringt. Ich möchte mich immer seltener vor mir selbst für die großen traurigen Augen des saftigen Steaks rechtfertigen müssen. Als mir vor einem Jahr in der „Höhle der Löwen“ der Insektenburger begegnete, war ich daher sofort Feuer und Flamme. Er besteht erfreulicherweise nicht aus frittierten Fliegen, sondern aus einer Art Madenmehl. Niemand mag Maden. Maden ernähren sich von Leichen und aus der Biotonne. Die Made ist kein niedliches Individuum, sondern tritt gern als Teppich auf und wird vor allem von Forensikern geschätzt. Insofern eignet sie sich ethisch einigermaßen einwandfrei als eiweißhaltiger Fleischersatz. Seit ich den Insektenburger das erste Mal sah, wollte ich ihn unbedingt haben. Aber er war nirgends zu kaufen und auch online nicht zu bestellen. Ein erneuter Versuch kürzlich brachte Bewegung in die Burgerprobe. Ausgerechnet ein Laden in Dorsten bot sie an.

Man könnte meine Kochkünste als pragmatisch beschreiben. Ich liebe gute Küche und leidenschaftliche Köche, aber habe selbst keine Muße stundenlang irgendwas vorzubereiten, einzulegen, zu würzen und abzuschmecken. Knoblauch, Sahne, Salz, Chili, Pfeffer, fertig. Damit kann ich das weltbeste Kartoffelpüree machen, das sogar Panhas neutralisiert. Das muss reichen. Eigentlich mag ich gar keine Burger, aber pragmatische Patties passen ganz gut in meinen Hausfrauenalltag. So briet ich die Burger, die zu siebenundzwanzig Prozent aus Buffalowürmern bestehen. Das sind die Larven des Getreideschimmelkäfers, die große Ähnlichkeit mit Mehlwürmern haben. Der überwiegende Rest ist ein Mix aus Soja, Wasser, Öl und Gewürzen. Die vegetarisch gefütterten niederländischen Käfermaden werden gekühlt, fallen als Kaltblüter*innen in eine Art Winterschlaf und werden dann mitten im Schlaf fein gehackt. Noch bevor sie überrascht sein könnten, sind sie bereits tot.

Ich verband das Burgerbraten mit einem Vergleich. Um den Geschmack der eingeschläferten Maden möglichst gut beurteilen zu können, landete ein handelsüblicher Rinderburger ebenfalls in der Pfanne. Ganz gelungen ist das Probeessen nicht, da dazu als Dritter im Bunde der vegane Beyond Meat-Burger gehört hätte, den Lidl letzte Woche für zehn Minuten anbot. Erbsenprotein mit Roter Bete legt derzeit die amerikanische Börse lahm und hat den deutschen Discounter offenbar im ersten Anlauf überfordert. Ich gehörte zu den vielen Kund*innen, die leer ausgingen, da in Deutschland immer noch nicht angekommen ist, dass sich gerade was verändert. Schönen Gruß an die Autoindustrie. Dem Insektenburger sieht man seine tierischen Bestandteile ebenso wenig an wie dem Rinderpatty. Beide kommen sowohl optisch als auch geschmacklich ähnlich unspektakulär daher. Die Konsistenz ist ein wenig unterschiedlich. Die Maden sind trockener als das Rind, etwas falafelartig. Mit einem Klecks Ketchup ist das im Handumdrehen kompensiert.

Ein Facebook-Freund postete just wegen des Ausverkaufs des Beyond Meat-Burgers sein persönliches, von seinen vegetarischen Kindern akzeptiertes Burgerrezept: Eine Dose Kidneybohnen, eine halbe Dose Erdnüsse, ein Ei, ein bisschen Mozzarella, Salz und Pfeffer. Das ist so einfach, dass ich es meinem Hirn mal unterjubeln werde. Da ist der innere Widerstand dann doch noch etwas geringer als bei den gerösteten Heuschrecken mit Schokoladenhintern auf Erdbeeren, die auf der Internetseite „Snackinsects“ vorwurfsvoll in die Kamera gucken. Darüber hinaus setze ich wie immer auf die Wissenschaft. Inzwischen wachsen menschliche Ohren auf Mäuserücken und Minihirne in Petrischalen. Da wird es ja wohl noch zu meinen Lebzeiten möglich sein, Steaks ohne tote Tiere herzustellen. Made in Germany.

 
 

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