Fasanendamendurchfall mitten im Universum

Das Universum ist zwei mal drei Meter groß und hängt in meinem Wohnzimmer an der Wand. Ich weiß also Bescheid. Eigentlich.
Meistens.
Manchmal.
Theoretisch. 
An manchen Tagen jedoch starre ich in das Zentrum von Allem und denke: War da was? Da war doch was? Was war das denn nochmal? Das sind diese Tage, die als Zumutung daherkommen und an denen alles Ziehen und Zerren es nur schlimmer macht.

Im Sommer vor zwei Jahren saß ich am Schreibtisch meines Arbeitszimmers und hörte ungewohnte Geräusche. In einem Haus von 1882 knirscht und knackt es eben ab und zu, also ignorierte ich sie zunächst. Irgendwann schepperte es so laut, dass ich mich auf die Suche nach der Geräuschquelle begab. In der Küche war nichts aus dem Regal gefallen. Dann konnte es nur … der Wintergarten … Ein paar Dekofiguren und ein zerbrochener Blumentopf lagen auf dem Boden, abgerissene Blätter und Blumenerde drumherum. Die kleine Fasanendame hockte verängstigt in der Ecke der großen Fensterfront.

Meisen hatten sich schon häufiger in den Wintergarten verirrt, da ich die Tür im Sommer gern den ganzen Tag auflasse. Da eine Meise ungefähr so viel wiegt wie acht Hummeln, richtet sie nicht viel Schaden an. Es reicht, sich hinter sie zu stellen und durch eine sachte Armbewegung ihren Fluchtreflex Richtung offene Tür auszulösen. Im dritten, vierten Anlauf klappt es meistens. So versuchte ich es mit dem Fasanenmädchen auch. Aufgeregt flatterte das hühnergroße Tier durch den Raum und knallte wieder und wieder gegen eine der Scheiben. Weitere Töpfe gingen zu Bruch, Erde und Blätter überall. Die Fasanin war versehentlich in die Hölle geraten und fand partout den Ausgang nicht.

Die Tür stand sperrangelweit offen, sie wollte unbedingt raus und schaffte es nicht, egal wie sehr sie sich anstrengte. Da ich sogar Ivar-Regale alleine aufbauen kann – wer Ivar kennt, weiß, dass dazu überirdische Fähigkeiten nötig sind – und mit Bohrmaschinen befreundet bin, war klar, dass ich das Problem mit dem randalierenden Vogel ohne Hilfe von Vermieter oder Feuerwehr lösen wollte. Zupacken. Kann ich. Gartenhandschuhe übergestreift und trotz hundertachtziger Puls mit leiser, sanfter Stimme auf die Fasanendame zubewegt. Sie wehrte sich in alle Richtungen, schwirrte quer durch den Raum, stieß sich erneut heftig den Kopf und warf weitere Pflanzen um. Irgendwann saß sie in der Ecke, in der Falle. Ich ging langsam auf sie zu, sie erkannte die Ausweglosigkeit ihrer Situation. Und kackte auf die gesamte Fensterbank. Fasanendamendurchfall. Fundamentalwiderstand.

Ich griff nach ihr und umfasste vorsichtig, aber fest beide Flügel. Nun fügte sie sich in ihr Schicksal. Wir beide waren plötzlich ganz ruhig. Ich trug sie in den Garten und bevor ich sie auf den Boden setzte, schauten wir uns einmal tief in die Augen. Zwei Sekunden Liebe. Erwartet hatte ich, dass sie nun möglichst schnell das Weite suchen und wegfliegen würde. Stattdessen lief sie verwirrt vor dem Gartenzaun hin und her. Ey, du hast Flügel, du kannst fliiiieeegen! Sie schaute mich fragend an. So griff ich erneut zu und half ihr über den Zaun. Zurückgekommen ist sie nie. Sie hat ein paar Federn dagelassen, eine hab ich aufbewahrt.

Vielleicht bin ich der kleinen Fasanin gar nicht so unähnlich. Die Tür ist sperrangelweit auf und ich seh sie manchmal einfach nicht. Vielleicht ist das Universum einen Tick größer und nicht ganz so flach wie das, an dem ich jeden Tag vorbeikomme.

 
 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert