Frostbeulen und Kitefoilen

Mein erster Winter am Meer. Der Panda harrt tapfer draußen aus und wartet auf den Frühling. Wir mögen es beide lieber muckelig und brauchen trotzdem und erst recht auch jetzt regelmäßig Auslauf. Gestern Mittag war es wieder soweit, ab zum Lieblingsstrand.

Ich war tatsächlich die einzige weit und breit, der Wind blies eisig, die graue Wolkendecke schien greifbar nah, das Wasser stand höher als sonst und rollte grollend auf den Strand. Fast ein bisschen unheimlich.

Mit der Kamera in den behandschuhten Händen stapfte ich an der Wasserlinie entlang und schaute den Möwen und diesen Minivögeln mit den langen Schnäbeln zu. Wie die wohl heißen? Sie sehen aus wie Kleine Gelbschenkel, nur ohne gelbe Schenkel. Oder sind das etwa Sanderlinge? Strandläufer? Jedenfalls scheue Sonderlinge, die am Strand herumlaufen.

Nach ein paar Minuten waren meine Finger komplett eingefroren. Das tut so weh, dass Bewegung schwerfällt, Berührung unangenehm ist und es nur zwei Möglichkeiten gibt: Schnell nach Hause an die Heizung oder auf das Stadium der vollständigen Taubheit warten, also das kurz vor der Nekrose. Inzwischen bin ich ganz gut in der Lage, selbst bei sehr steifer Brise Füße, Ohren und den Rest warmzuhalten. Nur das mit den Händen klappt nicht, wenn die Kamera dabei ist.

Als ich gerade überlegte, die Kamera einzupacken und den Fingern in den Jackentaschen Zuflucht zu gewähren, kam mir jemand entgegen. Ein Kitesurfer. Meinen kleinen Kitekurs hatte ich Ende September absolviert und war am Ende trotz dicker Neoprenschicht blaugefroren. Gestern war es etwa zwanzig Grad kälter. Ich ging neugierig auf diesen Surfer zu, der nicht nur nicht bibberte, sondern ganz fröhlich aussah.

„Was muss man anziehen, um heute freiwillig da rauszugehen?!“
„Fünf Millimeter Neopren und die Schwimmweste macht auch noch was aus. Mir ist warm.“
Ich staunte, halb ungläubig, halb fasziniert. „Wie viel Grad hat denn das Wasser jetzt?“
„Vier. Kälter wird’s nicht.“
Bei vier Grad erreicht Wasser nämlich seine größte Dichte. Es sieht dann nicht nur schwerer aus und klingt schwerfälliger, es ist tatsächlich schwerer. Dass jemand diese Wassertemperatur persönlich testet, kann ich mir nur schwer vorstellen.
„Der Wahnsinn kennt echt keine Grenzen.“
Mein Gegenüber strahlt: „Stimmt!“

Inzwischen ist mir aufgefallen, dass es sich bei seiner Ausrüstung nicht um ein gewöhnliches Kiteboard handelt. Unten drunter ist eine Stange und daran hängt eine Art doppelter Walschwanz.
„Das ist ein Foilboard. Damit fliegt man quasi über die Wasseroberfläche.“
Die Stange und der Walschwanz heißen in Surfersprache Finne (Mast), zwei Wings (Flügel), verbunden durch die Fuselage (Flugzeugrumpf). Alles zusammen: Foil, wohl ungefähr in der Bedeutung von Florett.

Nimmt man einen Kite obenrum und ein Foilboard untenrum, ist das der neue angesagte Wassersport für Unverwüstliche: Wingfoilen oder Kitefoilen. Der Unterschied im Vergleich zum normalen Kiten ist, dass es wohl schon bei geringeren Windgeschwindigkeiten eine gehörige Portion Adrenalin freisetzt.

Joe, so heißt der Unverwüstliche, ist längst wieder draußen und schwebt geschmeidig über die Wasseroberfläche.* Ich drücke noch ein paarmal den Auslöser und flüchte flugs ins warme Internet, um mich über den neuen Trendsport zu informieren. Im Frühling komme ich wieder und übe ein bisschen Drachenfliegen auf der Wiese, um meinen Ruf als Bodydragqueen zu festigen.

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