Letzten Samstag finde ich es vor der Wohnungstür, als ich abends nach Hause komme. Ein DIN A5-kleines, schmales Päckchen in sanftem Hellgrün mit Blumen in rosa und gelb. Sieht aus wie ein Geschenk. Dabei ist mein Geburtstag doch erst in einer Woche.
Von wem das Päckchen wohl ist? Da ich seit vierzig Jahren stark kurzsichtig und seit geraumer Zeit auch weitsichtig bin und Kontaktlinsen und Brillen weder das eine noch das andere und schon gar nicht beides gleichzeitig optimal ausgleichen, entferne ich zunächst die Kontaktlinsen und halte mir dann das Päckchen fünf Zentimeter vor die Augen. „Tena Service“ steht dort.
Tena? Äh, sind das nicht diese …?
Ich falte das Päckchen, das mehr wie ein dicker Briefumschlag ist, auseinander. Eine in ein grünes Pfauenkostüm gekleidete Frau ist dort zu sehen. Style Brasilianischer Karneval: hellgrüner Badeanzug mit Fransen und auf dem Rücken viele pfauenartige Federn im gleichen Farbton mit gelben Spitzen. Während ich es mir noch näher vor die Augen halte, erkenne ich, dass es wohl kein Pfau, sondern ein Schmetterling sein soll, da die mittelalte Dame eine ebenfalls grüne Mütze mit grünen Fühlern und gelben Fühlerbommelenden auf dem Kopf trägt.
Neben der beim fröhlichen Latinatanz fotografierten Schmetterlingsdame ringt Text um meine Aufmerksamkeit. Auf Deutsch steht dort: „Meine Blase bestimmt, was ich anziehe? NICHTS DA!“. Um das Werbebudget zu schonen, steht derselbe Text dort auch auf holländisch und französisch.
Genau, Tena, das sind die mit der Inkontinenz. Und die schicken mir ein Päckchen exakt eine Woche vor meinem runden Geburtstag. Da hat eine Datenbank echt mitgedacht. Wäre das Päckchen eine Woche später gekommen, hätte es mir womöglich die Laune verdorben, da es mich daran erinnern will, dass ich nun wirklich so richtig alt bin und es noch nicht mal mehr rechtzeitig aufs Klo schaffe.
Dem Päckchen beigelegt sind Produktproben in drei verschiedenen Größen. Die drei Einlagen tragen die euphemistischen Namen „Discret Mini Magic“, „Discret Ultra Mini“ und „Discret Ultra Mini Plus“ – in aufsteigender Reihenfolge. Die Windel, die Tena mir eine Woche vor meinem Sechzigsten schicken wird, heißt vermutlich „Super Discret Mega Minimus“. Und zum Siebzigsten gibt‘s einen suprawattierten ultrasaugfähigen hintenrum nanoverstärkten prophylaktischen Rundumschutz für den Fall unangekündigten Ablebens, da der Darm in solchen Situationen häufig eher megadirekt statt ultradiskret reagiert. „Secret Holy Shit 7.0“.
Nun bin ich also aus der für RTL werberelevanten Zielgruppe in die ZDF-Zielgruppe gerutscht, die Produktproben für Lesebrillen, Hörgeräte und Hämorrhoidensalbe aufgeschlossen gegenübersteht. Ich fange hier jetzt nicht mit demografischem Wandel und so Kram an, nur so viel: Mein Bergfest feiere ich in zweieinhalb Jahren, ich bin heute zehn Mal fitter als zu verrauchten und versoffenen Studienzeiten und arbeite nicht auf die Rente hin, sondern an einem Startup. Hier ist nicht Herbst, sondern Hochsommer. Weisse Bescheid, Tena.
Korrekturlesen, Text ins Netz. Voll digital statt oll und schal. Je nachdem, was ich sehen will, schiebe ich die blöde Brille von oben nach unten und wieder zurück. Mit minus acht bis neun Dioptrien ist es lebensgefährlich, ohne Sehhilfe vor die Haustür zu gehen. Leider ist Linsenlasern immer noch sehr teuer. Bei meinem letzten Besuch sagte der Augenarzt: „Warten Sie noch ein paar Jahre bis zum Grauen Star, dann zahlt das die Kasse.“ Weisse Bescheid.
Diesen Text widme ich kolossal kontinental: mir selbst. Und feiere mit meinen liebsten Schnuckies wild und windellos Fuckupfifty.