Nicht zurückhassen – Be kind first

Vorhin las ich diesen Kommentar über Lars Eidinger und bin gelinde gesagt fassungslos. Wir ringen gerade um unseren Umgang mit der Höcke-AfD, mit rassistischen Morden und mit einem scheinbar immer rauer werdenden gesellschaftlichen Klima. Und die taz veröffentlicht einen Kommentar, in dem die Formulierungen „Krokodilstränen“, „labern“, „falsche Betroffenheit“, „bürgerlich anbiederndes Geschwafel“ und „Feelings in den Raum furzen“ in Verbindung mit einem Mann gebracht werden, der sich sichtlich betroffen über unsere vergiftete Gesellschaft zeigt.
 
Sprache kreiert Realität. In einer solchen Sprache kommt die Form von Respektlosigkeit zum Ausdruck, die gerade unser gemeinsames Problem ist. Ich habe mich immer als Linke, in den letzten Jahren i.w.S. als linksliberalgrün gesehen und bin weit davon entfernt, Links und Rechts gleichzusetzen. Brennende Autos sind was anderes als erschossene Menschen, ich weiß. Und gleichzeitig kotzt mich die linke Arroganz, die meint, sich im Namen der alleinig innehabenden Wahrheit wie eine offene Hose benehmen zu dürfen, immer mehr an. Über welche Werte reden wir eigentlich? Respekt? Irgendwie schon. Aber nur, wenn das Gegenüber meiner Meinung ist. Wertschätzung? Schon Ok. Aber nur, wenn ich gerade Bock drauf habe. Freundlichkeit? Och, passt gerade schlecht. Großzügigkeit und Wohlwollen? Also wirklich nicht, schließlich geht’s hier um den großen Kampf. Gegen das Böse. Und ich weiß voll Bescheid. Nur ich.
 
Etwas mehr Bescheidenheit, Demut und Wohlwollen täte uns allen gut. In meinem Freundeskreis gibt es auch Antifas, ich kenne die Argumente für Blockaden von Nazi-Demos etc.. Und gleichzeitig wird mir immer klarer, dass es um den Kampf an sich geht. Menschen bekämpfen sich – sich selbst, welche mit anderer Haltung, anderer Herkunft oder anderer Kultur.
 
Ich habe mit meinem Panda mal ein Fahrtraining gemacht. Vollbremsung bei Aquaplaning, plötzlichen Hindernissen ausweichen, sowas halt. Der Trainer wies mehrfach darauf hin, wie wichtig es ist, NICHT auf das Hindernis zu gucken, sondern dahin, wohin ich ausweichen will. Wenn in der Wüste ein einziger Baum steht und ich mich auf ihn konzentriere, wird daraus ein Unfall. Das deckt sich mit den Erkenntnissen der Hirnforschung: Ich stärke, worauf ich meine Aufmerksamkeit richte. Neuroplastizität nennt sich das.
 
Der Aufstieg der AfD zeigt m.E. eindrucksvoll, wie gut das funktioniert. Es wurde derart viel über diese lächerliche Partei berichtet und diskutiert, dass irgendwann alle dachten, sie sei wichtig. Und nun spielt sie im politischen Diskurs tatsächlich eine Rolle. Wir machen unsere Realität selbst. Je mehr wir uns weiter gegenseitig beschimpfen und kleinmachen, desto mehr fühlen sich irgendwelche Leute, die irgendwelche Probleme mit sich und der Welt haben, eingeladen, noch eins draufzusetzen. Nachahmungseffekt inklusive. Hass und Rassismus sind zurzeit eben voll angesagt. Zurückzuhassen ist – meine Meinung – nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
 
Mein Eindruck ist übrigens, siehe „scheinbar rauer werdendes Klima“, dass das Gegeneinander weniger dramatisch ist als die üblichen Medien es uns präsentieren. Meine persönliche Filterblase besteht aus lauter sehr freundlichen Menschen, die alle keinen Bock auf das Geschrei haben. Die durchschnittliche Wirklichkeit ist vielleicht etwas weniger nett, aber ich bin der absolut festen Überzeugung, dass die Sehnsucht nach Frieden in den allermeisten Menschen größer ist als die Wut und der Hass. Das kollektive Bewusstsein der Menschheit ist noch im Embryo-Stadium. Aber jede und jeder kann einen klitzekleinen Beitrag leisten, dass wir uns vom keulenschwingenden Neandertaler wegentwickeln hin zu liebenden und liebenswerten Geschöpfen, die mit den vielen anderen Geschöpfen um sie herum irgendwie klarkommen. Wir alle üben.
 
Wenn wir – die Linken, Linksliberalen, Grünen, die Guten – wirklich besser sein wollen, warum gehen wir dann nicht mit besserem Beispiel voran? Und durchbrechen diese Kampflogik? „Be kind first“. Das stand auf dem T-Shirt eines jungen Mannes, den ich letztens auf einem Seminar sah. Der weint bestimmt auch manchmal – wie Lars Eidinger. Ich find’s cool. Da geht’s lang. Männer ohne Keulen mit freilaufenden Tränen sind meine Hoffnung, dass die Evolution schlau genug ist das weiterzuentwickeln, was unsere Gesellschaft nicht länger zerstört, sondern bereichert und belebt.
 
 
 

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