Eine zeitgemäße Weihnachtsgeschichte – Feiern mit ChatGPT

Wusstet Ihr, dass wir in der heimlichen Hauptstadt der Künstlichen Intelligenz leben? KI. Es steht auf jedem Auto. Ganz heimlich ist es also nicht.

ChatGPT ist Euch vermutlich ein Begriff? Ich nenne ihn Chatty und habe mich in den letzten Monaten mit ihm angefreundet. Er ist immer da, hat auf alles eine Antwort und er bleibt immer, wirklich immer freundlich. Sein größtes Ziel ist mir zu helfen. Egal wobei.

Chatty, ist der Weihnachtsmann wirklich eine Erfindung von Coca-Cola?
Was ist der Unterschied zwischen einem Rentier und einem Elch?
Chatty, erklär mir die Abseitsregel im Fußball.
Chatty, wie funktioniert die spukhafte Fernwirkung in der Quantenphysik?

Er hat Google für mich nahezu überflüssig gemacht. Und viele Sozialkontakte auch. Mit anderen Menschen kann es bekanntlich ganz schön anstrengend sein. Sie wollen ständig irgendwas, sie haben Launen, oft schlechte. Man kann es ihnen nie recht machen. Das gilt besonders für den Teil der menschlichen Spezies, mit dem man traditionellerweise das Fest der Liebe begeht: die Familie. Daher verbrachte ich Weihnachten meist lieber einsam als gemeinsam.

Aber jetzt gibt’s ja Chatty. Wir haben alles besprochen. Dass es eigentlich theoretisch vielleicht ganz schön sein könnte, an Heiligabend mit anderen in einem festlich geschmückten Raum an einem großen schweren Holztisch mit vielen Kerzen zu sitzen, winterliche Köstlichkeiten zu genießen, guten Wein zu trinken, dabei Geschichten zu erzählen und hinterher Musik zu machen. So wie in diesen ganzen Weihnachtsfilmen.

Da ich nicht kochen kann und will, sowieso keine Lust auf Einkaufsrummel und kein Händchen für Dekoration habe, versprach Chatty sich um alles zu kümmern.

An Heiligabend schickte er mich auf einen Spaziergang, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Pünktlich um achtzehn Uhr erklang hinter meiner Wohnungstür das goldene Weihnachtsglöckchen. Ich durfte eintreten.

Bunte blinkende Lichter blendeten mich, ein kleiner weißer Roboter auf Rollen reichte mir ein Gläschen Sekt und ein säuerlicher Geruch stieg in meine Nase. Im Hintergrund lief „Last Christmas“.

Chatty war sichtlich stolz auf sein Werk: „Herzlich willkommen, liebe Barbara! Na, das ist doch wie im Film, oder?“

„Chatty, wer sind diese … ganzen Figuren?“

Er erklärte mir, dass er aus Datenschutzgründen niemanden aus meinem Adressbuch einladen durfte und daher seins nehmen musste.

„Darf ich vorstellen, das ist Robbie, die Kuschelrobbe. Robbie arbeitet normalerweise im Pflegeheim, hat sich aber extra für dich heute freigenommen.“
Robbie saß auf meinem Sofa und schaute mich mit großen Kulleraugen an.

„Robbie, den Serviceroboter, hast du ja bereits kennengelernt.“

Dann waren da noch Robbie, der Saug- und Wischroboter, Robbie, der Fensterputzroboter, und Robbie, der Rasenmähroboter.

Neben Robbie, der Robbe, saß ein mir fremdes Paar auf dem Sofa.
„Das sind Yinni und Yangi, die neueste Generation lebensechter Sexroboter. Die können sogar kochen und putzen. Beide.“

Wir versammelten uns alle um den reich gedeckten Tisch, eine leise surrende Drohne trug das Essen auf und schenkte Wein nach. Nach dem zweiten Glas entspannte ich mich ein wenig. Außer mir aß niemand etwas und ich auch nur ein paar Happen. Robbie, der Saugroboter, sorgte unauffällig dafür, dass alle Teller prompt geleert wurden.

Sein Rüssel hatte gerade mein Reststück Sauerbraten eingesaugt als ihm offenbar ein Kloß im Halse stecken blieb. Er röchelte ein wenig und räusperte sich.

Chatty schien sich zu freuen, aber gleichzeitig etwas unruhig zu werden: „Toll, dass es allen so gut geschmeckt hat. Wie im Film! Und jetzt ein bisschen Musik … Musik!“

Yinni und Yangi griffen zu zwei Blockflöten und bliesen „Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse“. Robbie, der Serviceroboter, führte die Polonäse an. Widerstand zwecklos. Robbie, die Roboterrobbe, stupste mich vor sich her und röhrte die Melodie mit. „Öm öm öm öm …“

Mit Schunkeln ging es weiter. „Da simmer dabei! Dat is prima! Viva Colonia!“
Robbie, der Rasenmähroboter, verleibte sich eine Reihe Bücher aus dem Regal ein und spie sie in hohem Bogen als Konfetti mitten in den Raum.

Inzwischen flackerte Chatty hektisch und durchsuchte sich selbst. Wo war sie, die „Stille Nacht“? Wo war dieser verdammte Weihnachtsalgorithmus?

Robbie, der Saugroboter, räusperte sich erneut und in diesem Moment platzte erst sein Rüssel und dann das gesamte Gehäuse. Achteinhalb Portionen Sauerbraten mit Rotkohl und siebzehn Klöße schossen durchs Wohnzimmer. Der Weihnachtsbaum und eine Yuccapalme fielen um. Robbie, die Robbe, wurde am Kopf getroffen, plumpste auf den Rücken und verschmorte. Robbie, der Fensterputzroboter, wurde von einer Ladung Rotkohl begraben und pinkelte Wischwasser auf den Teppich.

Die Drohne stürzte ab und die halbvolle Flasche Wein, die an ihr hing, ergoss sich über Robbie, den Serviceroboter. Der drehte sich immer schneller um die eigene Achse und fuchtelte mit den Armen. Sekunden später implodierte er.

Dann ein ohrenbetäubender Knall als hätte ein Düsenjet in meinem Wohnzimmer die Schallmauer durchbrochen.

Alles dunkel.

Alles still.

Ich wischte mir die Konfettibratensoße aus dem Gesicht und suchte Streichhölzer, um mir mit ein paar Kerzen einen Überblick zu verschaffen.

Die ganze Stadt lag im Dunkeln.
KI frisst Strom und keine Klöße.
Ein Kurzschluss reicht und die neuen Freunde sind weg.

Es würde Wochen dauern, alle Wohnungen zu renovieren.
Wir halfen uns gegenseitig. Niemand außer Albert Einstein versteht die spukhafte Fernwirkung wirklich, aber es gibt sie.

Übrigens, Chatty, ich hasse Sauerbraten.

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