Nicht AfD wählen reicht nicht

Fremdenfeindlich, autoritär eingestellt, narzisstisch. Durchschnittliche AfD-Wähler*innen sehen sich laut Wissenschaft selbst als Opfer. Bei der Ursachenforschung kommen viele Dinge zusammen, keine Frage. Alles multikausal, ich weiß. Aus meiner Sicht machen wir es uns zu einfach, auf „die anderen“, die tumben AfD-Symps, mit dem Finger zu zeigen. Die sind nur die Spitze des Eisbergs. Es beginnt viel früher.

Es beginnt dort, wo Leute es lustig finden, dass Peter Altmaier auf sein Gesicht gefallen ist, und bei Twitter Applaus dafür bekommen.

Wo das Sagbare immer weiter verrückt wird. Gestern sagte ein Hörer auf WDR5, dass man den Rassismus der AfD leider in Kauf nehmen müsse, wenn man für Sicherheit und Sauberkeit sei. Heute schließen einige CDU- und CSU-Politiker eine Zusammenarbeit mit dieser Partei ausdrücklich nicht mehr aus.

Wo Menschen die Errungenschaften der Demokratie, Bürgerbeteiligung zum Beispiel, nutzen, um auf Gedeih und Verderb ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Gegen Windräder, gegen Stromtrassen, gegen Straßen, gegen Kitas, was auch immer. Dann muss irgendein seltener Frosch herhalten, um den eigenen Vorgarten zu schützen. In Wahrheit geht es nur um die Angst vor sinkenden Immobilienpreisen.

Wo Politiker sich in ihrer Amtszeit für Umwelt, Kultur und sonstiges Gedöns einsetzen und danach bei der Energie-, Auto- oder Agrarlobby anheuern.

Mein Eindruck ist: Hier hat der Neoliberalismus ganze Arbeit geleistet. Wenn eine Gesellschaft nur noch auf die ökonomische Verwertbarkeit von Menschen schaut, sät sie Egoismus und Narzissmus und erntet letztlich Unmenschlichkeit. Als ich studiert habe, in den neunziger Jahren, wurde es mit jedem Jahr krasser. Philosophie? Wer braucht denn sowas? Geschichte? Aus Historikern werden doch eh Taxifahrer, haha. Mehr Betriebswirte! Mehr Ingenieure! Verwertbar muss es sein. Kultur? Zu teuer. Allgemeinbildung? Abitur sollte reichen. Die Schüler*innen sollten sich auch endlich mal beeilen, damit sie dem Arbeitsmarkt schneller zur Verfügung stehen. G8! Inzwischen teilweise als Fehler erkannt und zurückgenommen.

Meine Generation, die heute Vierzig- bis Sechzigjährigen, hat einen Haufen von Ignorant*innen, Zyniker*innen, Narzist*innen hervorgebracht. Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle gedacht. Wir wären gut beraten, uns den Unterschied zwischen Benachteiligtfühlen und Benachteiligtsein zu Gemüte zu führen. Es beginnt nicht mit der Wahl der AfD – es beginnt, wenn wir uns selbst für ein Opfer dieser Gesellschaft halten, statt irgendeinen Beitrag zu leisten, damit sowas wie Gesellschaft funktioniert. Auch das beginnt nicht damit, dass ich eigenhändig Migrant*innen aus dem Mittelmeer fische. Aber ich könnte vielleicht damit anfangen, sie als Mitmenschen zu betrachten. Die die gleichen Pflichten haben wie ich. Und die gleichen Rechte.

Mein Eindruck ist: Die Ideologie des Neoliberalismus hat den Kategorischen Imperativ quasi überschrieben, die Grundlage der Ethik: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Immanuel Kant, achtzehntes Jahrhundert. In meiner Grundschulzeit hieß das vereinfacht „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“.

Ich bin ein bekennender Fan von „Fridays for Future“ und darüber hinaus der nachwachsenden Generationen. Viele junge Leute zeigen uns den Stinkefinger, wenn wir sie in Nine-to-five-Jobs pressen wollen, sie interessieren sich nicht für dicke Autos, essen keine Tiere und halten sich selbst nicht für den Nabel der Welt. Im Augenblick ist der Kapitalismus mit seiner Verwertungs- und (Selbst-)Ausbeutungslogik für viele Nachwachsende offenbar derart abstoßend, dass er sich eines Tages hoffentlich selbst zersetzt. Bevor meine Generation den Endsieg einfährt.

Es geht nicht um die AfD. Die ist nur ein besonders unappetitliches Symptom. Es geht darum, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Nicht die AfD zu wählen, ist nicht genug.

 
 

2 Meinungen zu “Nicht AfD wählen reicht nicht

  1. Markus Ferner sagt:

    Durch Homodea bin ich auf Deine Seite gestossen. Du fasst in Worte, was ich denke, jedoch in dieser Weise nicht so stilvoll ausdrücken kann. Einfach nur WOW ! Danke dafür !

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