Veit for Life – Eine Art Liebesbrief

Veit Lindau gespiegelt in einer Fensterscheibe

Als ich vor vielen Jahren AStA-Referentin an meiner Uni war, meckerte mich einmal eine Frau aus meiner eigenen Gruppe, natürlich ungerechtfertigt, an. Ich sah ihr in die Augen, lächelte und sagte im Beisein von zehn anderen Leuten laut: „Ach, Juliane, ich kann dich auch nicht leiden.“ Und kam mir unglaublich lässig dabei vor. Damals hätte es Gelegenheiten gegeben, so etwas wie eine politische Karriere zu machen. Streckenweise spielte ich meine Rolle als taffe Alles-Checkerin echt überzeugend. Ich war die erste in meiner Familie mit Abitur und nach schulischen Mobbingerfahrungen war die Strategie auf dem Weg an die Uni „Fake it till you make it“. Die Knie schlottern, aber, ha!, niemand wird es merken. Bevor ich Angst zeige, verbreite ich sie lieber. Rückblickend würde ich sagen: Als Rezept für Lebensglück eignet sich eine solche Vorgehensweise eher nicht.

Eine traditionell männliche Vorgehensweise. Das weibliche Pendant – demonstrativ leiden und erforderlichenfalls heulen – wurde bei uns Zuhause mit Nichtachtung gestraft: „Man muss sich auch mal zusammenreißen.“ Garniert wurde dies mit dem, was in unserer Gesellschaft so geglaubt und als Wahrheit gepredigt wird: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Ohne Fleiß kein Preis. Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Wer A sagt, muss auch B sagen. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Die perfekten Zutaten, um ein Leben als Opfer zu fristen. Und es nicht zu merken. „Ich habe den Auftrag zu leben und die Pflicht ihn zu erfüllen.“ Diese Zeile ist ein paar Jahrzehnte alt, mitten aus der Pubertät. Selbst heute noch gebe ich mir hin und wieder recht. Trotz langjährigen Bewusstseinsdehnungstrainings ist es immer noch so: Sobald ich wieder einmal in den Opfermodus rutsche, werde ich zu einer dankbaren Konsumentin von Quatsch, Schrott und Gift.

Matrix. Rote Pille oder blaue Pille. Ich hatte nie das Gefühl wirklich eine Wahl zu haben. Natürlich ist es die rote. Wenn ich schon mal hier bin, will ich auch das ganze Programm. Aber wo ist der Weg? Wo ist dieser Scheißweg? Die Welt ist ein ziemlich großer Irrgarten. Lange hielt ich meine Geschichte für eine ganz besondere. Besonders schwierige Umstände. Besonders große Hürden. Besonders dramatisches Drama. Und was tut man heutzutage, um derlei Geburtsfehler zu beheben? Therapieren. Möglichst einzeln und möglichst gründlich. Um sich am Ende der eigenen Absonderlichkeit auf noch mehr Ebenen voll bewusst zu sein. So lange ich glaubte, bei mir ist es krasser als bei den meisten anderen, war ich im Grunde gar nicht therapierbar, sondern kultivierte nur das Problem. Mich. Genauer gesagt einen besonders renitenten Teil von mir: mein Ego.

Vor vier Jahren suchte ich nach neuen Antworten auf alte Fragen. Da ich nicht die einzige bin, gibt es inzwischen eine ganze Branche, die die Suchenden aufsammelt. Persönlichkeitsentwicklung, Lifecoaching, Glücksratgeber. Ich landete bei „Seelengevögelt“ von Veit Lindau. Was für ein alberner Buchtitel! Und dann dieser zu erwachsen gewordene zu schöne Surferboy mit den zu langen Haaren, der immer noch enge Jeans und Lederjacken trägt. Was soll mir so einer schon zu sagen haben?! Ein weiteres Jahr verging, in dem ich von Tschaka-Tschaka-Coaching bis Esoterikkram alles mögliche ausprobiert habe. Hier eine kleine Erkenntnis, dort ein bisschen Fortschritt. Naja. Viel heiße Luft, viel Flachheit, viel teures Tamtam. Dann begegnete mir Veits Kurs „Guter Reichtum“, was Handfestes halt, und weil das Angebot im Paket mit einer „Humantrust“-Mitgliedschaft (heute „homodea“) das günstigste war, landete ich mittendrin.

Vortrag von Veit Lindau

Ich habe ein paar Monate gebraucht, um einigermaßen zu begreifen, wo ich da eigentlich gelandet war. Schon häufiger habe ich versucht Worte dafür zu finden, mäßig erfolgreich. Selbst ein sehr guter Freund unterbrach mich nach wenigen Sätzen reflexhaft: „Sekte“. Es könnte falscher nicht sein. Mir erscheint das, was da „draußen“ als Norm behauptet wird, zunehmend sektenhaft. Konsumieren, konkurrieren, kämpfen. Übertönen, zudröhnen, betäuben. Mehr von allem und zwar zack, zack! Während gleichzeitig immer sichtbarer wird, dass die Erde ein riesiger Organismus ist, in dem alles miteinander vernetzt ist und wechselwirkt und wir gerade den Ast absägen, auf dem wir sitzen.

Veit steht für einen integralen Ansatz. Er bedient sich bei Wissenschaft und Hirnforschung, bei Psychologie und Pädagogik, bei Mystik und Religionen und führt das Beste aus allen Welten zusammen. Es geht nicht nur darum, das eigene Innenleben umzustreichen, damit aus Grau endlich Bunt wird, sondern um radikale Eigenverantwortung als Voraussetzung dafür, zum Gelingen unserer Gesellschaft beitragen zu können. Luft nach oben gibt es wahrlich genug. Ich staune jeden Tag darüber, was Veit, seine Frau Andrea und ihr Team auf die Beine gestellt haben und ständig neu hervorbringen. Für mich ist das im deutschsprachigen Raum in Breite und Tiefe absolut einzigartig.

Im Kern ist „Homodea“ eine Onlinekursplattform mit einem sehr umfangreichen Angebot für einen Monatsbeitrag, der ungefähr einer Pizza mit einem Glas Merlot entspricht. Auch Liveevents gibt es regelmäßig. Nach diversen Kursen via Bildschirm war ich vor einer Woche das erste Mal live dabei. Zwei Tage „Elysium“, das volle Programm. Glück, Flow, Süchte, Ekstase, Berufung, Eros und Logos. Freude als Wegweiser. Worum geht‘s, wenn die Wahl auf die rote Pille gefallen ist? „Das Erdbeertörtchen macht dich satt, aber es erfüllt dich nicht.“ Nicht nur das Erdbeertörtchen schafft das nicht, auch die glitzerndsten Statussymbole, die nächste Beförderung oder der eigene Partner werden das Leck nicht stopfen.

Als echte Sinnstifter eignen sich Geld und Erfolg also nicht so recht. Da war doch noch was? Ach ja, wie wär‘s denn mit, äh, Liebe? Da auch bei uns Zuhause über Gefühlsgedöns ausgiebig geschwiegen wurde, hat sich mein Hirn früh Fragmente zu einem Bild zusammenphantasiert, die es in den Medien präsentiert bekam. Schönes armes Mädchen fristet ein einsames Dasein, bis ein starker Ritter sie rettet und sie gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten, glücklich bis an ihr Lebensende. Wo ich schon beim Outing bin: Ja, ich habe „Pretty Woman“ gesehen und war ganz ergriffen. Ja, mehrfach. In der Regel enden diese Geschichten spätestens mit der Hochzeitsnacht.

Im richtigen Leben bekomme ich ein Problem, wenn entweder gar keiner oder nur so ein Halbstarker vorbeireitet oder wenn sich der rettende Ritter nach der Hochzeitsnacht als durchschnittliches Mängelexemplar entpuppt. Dann kann ich die nächsten Jahrzehnte damit verbringen, ihn oder das Leben oder beide anzuklagen und mich einzurichten in der Ödnis. Und wenn ich es wieder einmal nicht aushalte, stehen die Erdbeertörtchen bereit, um es ein paar Stunden nicht zu spüren. Sind sie verdaut, ist die Leere wieder da. Zu allem Übel habe ich widerborstige Kinder, einen undankbaren Chef und ignorante Kolleg*innen. Dumm gelaufen.

Andere für die eigene Unbill verantwortlich zu machen führt am sichersten dazu, dass sich nichts ändert, und es ist: schön einfach. Das individualisierte Rückgrat im Land der Blauen Pillen. Viele Opfer umständehalber brauchen viele Erdbeertörtchen bis das Leben endlich ausgestanden ist. Das stählerne Herz der Autoindustrie hüpft vor Freude, wenn sich immer mehr Menschen mit lächerlichen SUVs zu beschenken glauben, mit denen sie dann in den engen und zugeparkten Gassen ihrer schicken Jugendstilhäuser nicht mehr aneinandervorbeipassen. Jemand Zuhause?

Veit sagt, man solle möglichst darauf verzichten „Veit hat gesagt …“ zu sagen. Und Veit sagt, Liebe ist kein Gefühl, sondern eine Haltung. Sich selbst und der Welt gegenüber. Wenn ich mich nicht wirklich leiden kann und stattdessen erwarte, dass jemand anderer diesen Job übernimmt, kann ich auch direkt ein Erdbeertörtchenabo abschließen. Eine gute Gelegenheit mit einem immer noch recht weit verbreiteten Missverständnis aufzuräumen: Das Gequatsche im Hirn, das nicht selten als Gemecker daherkommt, ist normal. Wer sich selber mal beim Produzieren von Gedanken zuguckt, wird viel dummes Zeug und viel gnadenlose Selbstkritik darunter finden. Bevor ich mich intensiver mit Hirnforschung beschäftigt habe, hielt ich das oft nervtötende Endlosgeplapper in meinem Kopf für den Verstand. Dabei ist es nur: das Ego. Herzlich willkommen. Es konnte und kann immer noch schimpfen wie ein Rohrspatz. Nicht zuletzt durch Meditation habe ich mein Hirn ein wenig erzogen und ihm neue Worte beigebracht. Statt eines Schimpfwortes wie „P*nner“ nutze ich seit einigen Jahren eine neue Formel. Das macht zum Beispiel Autofahren deutlich entspannter: „Jetzt beeil dich doch mal, Hase!“

Zu Studienzeiten war ich mit meiner Intuition noch nicht bewusst in Kontakt gekommen. Glücklicherweise gab es trotzdem irgendeine innere Stimme, die mich davon abgehalten hat in der Politik eine berufliche Perspektive zu suchen. Ich wäre dem als Scheinriesin nicht gewachsen gewesen. Wenn ich dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert heute zuhöre, hat sich nicht wirklich viel verändert. Ähnlich wie Karrieren in großen Unternehmen fressen die Strukturen die Menschen auf. Ein Melange aus Sachzwängen, Vereinnahmung und Selbstausbeutung stößt viele Menschen ab, zerstört sie oder zerrt so lange an ihnen bis sie ins System passen. Laut, breitbeinig und männerbündlerisch kommen Erfolg und Geld oft immer noch am schnellsten.

Und doch ist Wandel spürbar. Dass Kevin Kühnert in einer Talkshow darüber spricht und klar einen anderen Anspruch an (politische) Arbeit formuliert, ist relativ neu. Beim Workshop „Elysium“ letzte Woche trug ein junger Mann ein T-Shirt mit dem Aufdruck „be kind first“. Überhaupt war ich von den Männern dort sehr begeistert. Es gibt sie. Diejenigen, die auch keine Lust mehr haben sich zusammenzureißen und etwas anderes darzustellen als sie sind. Diejenigen, die Sinn und Glück nicht mit Macht und Geld verwechseln.

Wenn ich mir die Welt anschaue wie sie im Moment ist, kann ich entweder verzweifeln, verrückt werden oder bewusst von dem abweichen, was uns als Norm verkauft wird. Lasst uns in Nischen zusammentun und Neues kreieren. Es macht einen Unterschied. In vielen Bereichen hat die „normale Wirtschaft“ längst Probleme Nachwuchs zu finden. Viele junge Leute wollen die alten Regeln nicht mehr. Je mehr Beispiele es gibt, dass es auch anders geht, desto eher färben sie auf die Norm ab. An dieser Stelle habe ich traditionell die Neigung vom Hundertsten ins Tausendste zu schlittern und mache vor der Kurve zur Kapitalismuskritik einen Punkt.

Und fange bei mir selber an. Mit Ko-Kreation und mit Liebe. Auf einem solchen Weg irgendwo versteckt sich wohl auch der Sinn. Seit geraumer Zeit sage ich am Ende einer Lektion, eines Kurses oder Podcasts immer: „Danke, Veit, ich lieb dich auch.“

3 Meinungen zu “Veit for Life – Eine Art Liebesbrief

  1. Simone sagt:

    Gestern erzählte mir eine Bekannte von der Tochter ihrer Freundin, die nach dem Abi erst mal ihre Depression behandeln lassen musste. Der Druck im Verhältnis zum Ziel hatte sich falsch angefühlt. Und von einem Studenten, der nach zwei Semestern abgebrochen hat mit der Erkenntnis, dass er nicht bereit sei, so viel Zeit seines Lebens zu geben für das, was das System von ihm will. Wenn das Leben in der Matrix nicht mehr super ist, spucken immer mehr Menschen die blaue Pille aus. Wenn das viele machen, bin ich echt mal neugierig, was passiert.

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