Erkälteter Kermit

Mein Hirn & ich im Grippekoma

Vorhin bin ich nach anderthalb Tagen aus dem Grippekoma erwacht. Der erste Virenbefall seit zwei Jahren und elf Monaten. Gegen Ingwer-Quasi-Intravenös* hat kaum einer eine Chance. Nun hatten sie mich aber doch erwischt. Die Nächte phantasierend im Bett, die Tage auf der Couch, siechend. Unfähig, etwas aufzunehmen, was die Nervenzellen in meinem Hirn auch nur minimal herausgefordert hätte. An Lesen war nicht zu denken. Also Fernsehen. 3Sat? Nee. Arte? Neee. ZDF? Vielleicht beim überüberübernächsten Virenfeldzug. RTL2? Auch nicht, der Kopf war ja noch dran.

Also RTL. Während ich so vor mich hindämmerte, flimmerten Serien mit schönen jungen Menschen und eine abendfüllende Show mit lustigen Puppen vorbei. Eine „Rankingshow“ verwurstete alle Filmchen, die die Woche über bei Facebook die emotionalen Klickknöpfe von Rührung bis Schadenfreude gedrückt hatten. Noch billiger lässt sich das Werbeumfeld nur mit einem Standbild füllen. Ich überließ mich eine Weile dem schlichten Treiben, bis sich eine synaptische Restaktivität regte, die mir mitteilte, dass ich das hier gerade trotz meiner geschwächten Situation vor niemandem rechtfertigen kann. Der Einwand, dass es ja schließlich niemand wisse, half nur kurz. Meine Hand griff zur Fernbedienung und zappte kraftlos durchs Samstagnachmittagselend.

Ich landete bei irgendeinem ARD-Ableger. Dort lief gerade die Wiederholung der Lindenstraße. Viele Jahre habe ich diese Serie geguckt und mich am Bratpfannenmord, am ersten schwulen Fernsehkuss und am Hintern des Bösen, auf den eine Ratte zwangstätowiert wurde, erfreut. Der moralische Zeigefinger wies von Anfang an auf alle jeweils aktuellen gesellschaftlichen Missstände hin. Die Belehrungen nahm ich billigend in Kauf, weil es einigermaßen unterhaltsam war. Früher.

Übriggeblieben ist nur der Zeigefinger. In der aktuellen Folge ging es um eine Flüchtlingsfamilie, eine Schwangere, deren Kind vielleicht behindert ist, und um einen transsexuellen Mann, der als Frau besoffen eine Treppe herunterfiel und nun mit Filmriss durch die Kulisse stolpert. Fiebrig waberten die Szenen an meinem Hirn vorbei. Jetzt gleich kommt bestimmt was Lustiges. Nein. Aber jetzt kommt was Kritisches. Auch nicht. Jetzt vielleicht, was Unterhaltsames. Im Gegenteil. Ich vermute sogar, dass selbst den Viren die Lindenstraße zu doof war und sie daher ihren Rückzug beschleunigt haben.

Ich erwarte wirklich nicht, dass deutsches öffentlich-rechtliches Vorabendprogramm sich an einem Niveau wie zum Beispiel von „Breaking Bad“ verhebt. Aber wenn man doch nur den Hauch einer Ambition erkennen könnte, mehr zu versenden als in Moral getunkte Schwarzwaldklinik. Es wird doch irgendwo in diesem Land bezahlbare Drehbuchschreiber geben, die die Omma aller Serien einigermaßen würdevoll ins Altenheim schieben können.

In meinem Virenwahn habe ich einen Mittelfinger gesehen. Er zog in die Lindenstraße Nummer drei und mischte den Laden auf. Und jetzt noch ein Löffelchen Zwiebelsaft und morgen ist alles wieder gut.

* auf Wunsch sende ich gern das Rezept

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